QM nach DIN EN 15224 / ISO 9001
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Das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) hat in seinem Methodenpapier[i] einen Versuch unternommen, „Qualität im Gesundheitswesen“ zu definieren.
Jeder kann, wenn er denn einige Regeln einhält, ein Konzept so definieren wie er es für richtig und praktisch hält. Er kann auch eine Bezeichnung dafür wählen, die ihm gefällt. Dabei sollte jedoch dreierlei beachtet werden:
Ich glaube, dass die Anwendung des fachlichen Qualitätsbegriffes auf die Qualitätssicherung in der Gesundheitsversorgung sehr gut möglich ist und ich sehe keinen Grund, die international und in Fachkreisen anerkannte Definition zu verlassen. Wir sollten die Vorteile der neueren Qualitätskonzeption für die Qualitätssicherung in der Gesundheitsversorgung endlich erschließen. Insbesondere für die Arbeit des IQTiG könnte das sehr fruchtbar sein.
Das wäre zu untersuchen. Lies den gesamten Beitrag
[i] Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen Methodische Grundlagen V1.1 Stand: 15. April 2019 https://iqtig.org/dateien/dasiqtig/grundlagen/IQTIG_Methodische-Grundlagen-V1.1_barrierefrei_2019-04-15.pdf, zuletzt abgerufen 2021-02-05
Im Abschnitt 1 „Qualität der Gesundheitsversorgung“ heißt es:
„Das IQTiG definiert Qualität in der Gesundheitsversorgung daher wie folgt:
Qualität der Gesundheitsversorgung ist der Grad, in dem die Versorgung von Einzelpersonen und Populationen Anforderungen erfüllt, die patientenzentriert sind und mit professionellem Wissen übereinstimmen.“ (Hervorhebung von mir)
Die Definition wird mit „daher“ an die vorausgeschickten Sätze angeschlossen. Dort heißt es:
…“die Gesundheitsversorgung ist danach zu beurteilen, inwieweit sie diese übergeordneten Ziele und die daraus abgeleiteten Anforderungen erfüllt“.
Vier Fragen stellen sich:
Die Definition kann sich – anders als behauptet – nicht auf die Definition in DIN EN ISO 9000:2015 berufen. Sie passt auch nicht zu der Definition des Institute of Medicine.
Die Definition aus DIN EN ISO 9000:2015 wird nur bruchstückhaft zitiert. Vollständig heißt es[i]:
„Qualität: Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale (3.10.1) eines Objektes (3.6.1) Anforderungen (3.6.4) erfüllt“
Die Ziffern in den Klammern verweisen auf die in der Definition eingesetzten Begriffe, die an anderer Stelle definiert werden. „Inhärent“ wird in Anmerkung 2 mit „einem Objekt innewohnend“ als Gegensatz zu „zugeordnet“ erläutert.
„Ein Satz“ wird der Normalsprache entnommen wie für einen Satz von Schraubenschlüsseln oder einen Bestecksatz aus Messer, Gabel und Löffel. Damit sind Dinge gemeint, die zwar zusammengehören, aber nicht gleichwertig sind, also auch nicht verrechnet werden können.
Die Definition des IQTiG kommt ohne die Bestandteile „ein Satz inhärenter Merkmale eines Objektes“ aus. An die Stelle des (allgemeinen) „Objektes“ tritt „die Versorgung von Einzelpersonen und Populationen“. Das wirkt zunächst harmlos wie eine Spezifikation, um die Definition auf die Gesundheitsversorgung anzupassen. So einfach ist es aber nicht.
Die Änderung wirft drei Probleme auf:
Wenn die Definition für beide Arten der Versorgung gelten soll, dann muss „Versorgung von Einzelpersonen“ mit „oder“ von der „Versorgung von Populationen“ getrennt, also nicht durch ein „und“ verbunden werden.
Eine Versorgungsleistung hat kennzeichnende Eigenschaften – eben Merkmale. Die Merkmale der Versorgung erfüllen entweder die Anforderungen oder nicht (qualitativ) oder zu einem gewissen Grad (quantitativ). Das kann man dann prüfen oder messen.
Die Definition des IQTiG entfernt aus der Definition der Qualität das Objekt der Betrachtung und dessen Merkmale, die es am Ende zu messen oder zu prüfen gilt. Wie soll das gutgehen?
Die Definition des IQTiG sollte sich auch nicht auf die Definition des Institute of Medicine [ii] berufen. Dort wird zwar die Bezeichnung „Qualität“ verwandt, die definitorische Beschreibung passt jedoch besser zur Wirksamkeit. Wirksamkeit ist das Merkmal einer Handlung, die die Wahrscheinlichkeit eines gewünschten Ereignisses erhöht. Das IOM reduziert die Qualität auf das Merkmal Wirksamkeit. Das entspricht durchaus der damaligen (1990!) Auffassung. Inzwischen hat das IOM entdeckt, dass weitere Merkmale zum Satz der inhärenten Merkmale medizinischer Leistungen gehören wie z. B. die Sicherheit (so mit dem Dokument To Err is Human im Jahr 2000). Die Definition des IOM ist – in der Ausdrucksweise des IQTiG – nur eindimensional und sollte endlich verworfen werden.
Ganz richtig heißt es im Methodenpapier:
„Gemeinsam ist allen Rahmenkonzepten, dass sie deutlich machen, dass Qualität multidimensional ist und nicht anhand weniger, isolierter Aspekte umfassend beurteilt werden kann.“
Abgesehen davon, dass hier Dimensionen, Aspekte und Merkmale durcheinandergehen, ist diese Erkenntnis Grund genug, in die Definition von Qualität „ein Satz von Merkmalen eines Objektes“ aufzunehmen.
Die Definition müsste also lauten:
Qualität (einer medizinischen Leistung) ist der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale der Behandlung einzelner Personen Anforderungen erfüllt“.
Qualität (der Gesundheitsversorgung einer Population) ist der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale der Versorgungsorganisation einer Population Anforderungen erfüllt“.
Alles Weitere (was sind und wer stellt die Anforderungen, was sind die Merkmale einer Behandlung?) wird dann am besten in Anmerkungen erläutert.
Anforderungen als Verpflichtungen ergeben sich meistens aus allgemein anerkannten Normen wie KRINKO-Richtlinien, Leitlinien der Fachgesellschaften, Laborrichtlinien einschließlich des gesetzlichen Rahmens wie Patientenrechte-Gesetz, Arzneimittelgesetz, Transfusionsgesetz, Strahlenschutz, Arbeitsschutz usw. zur Erstellung von medizinischen Leistungen. Weitere Anforderungen werden in dem jeweiligen sozialen, kulturellen und politisch-wirtschaftlichen Zusammenhang üblicherweise vorausgesetzt, ohne dass sie eine weitere Begründung oder erneute explizite Formulierung erforderlich machen.
Weitere Anforderungen werden vom Empfänger der Leistung selbst oder aus seiner Sicht festgelegt, meistens nach einer sorgfältigen Erhebung seines Bedarfes. Der Empfänger der Leistung muss die Anforderungen nicht aus eigenem Wissen festlegen. Er kann sich dabei fachlich beraten lassen und mit dem Leistungserbringer abstimmen.
Weitere Anforderungen können von interessierten Parteien gestellt werden, die selbst nicht Empfänger der Leistung sind. Sie können sich dabei an allgemeinen Grundsätzen, Prinzipien oder eigenen Zielen orientieren.
In der medizinischen Qualitätssicherung wird bevorzugt die Qualität der Leistung selbst (Design) und die ihrer Erbringung (Performanz) betrachtet. Das ausgewählte Behandlungsverfahren soll dem Bedarf des Leistungsempfängers entsprechen. Die allgemeinen sozialen Bedingungen der Gesundheitsversorgung müssen dabei berücksichtigt werden.
Grundsätzlich können die Versorgung von Einzelpersonen und die Versorgung von Populationen gleichermaßen Gegenstand einer Qualitätsbetrachtung sein. Man kann die Versorgung eines Patienten mit einem Herzschrittmacher in einer Klinik (Versorgung einer einzelnen Person) betrachten. Oder man untersucht die Versorgung aller Versicherten einer Region, die an einem AV-Block leiden (Versorgung einer Population).
Dazwischen liegen aber Welten.
Die Konfusion entsteht durch die ungeklärte Verwendung des Wortes „Gesundheitsversorgung“. Ist damit die Behandlung einzelner Patienten (medical practice) gemeint oder die Gesamtheit der organisatorischen Voraussetzungen für die Leistungserbringung (health care system, public health)?
Was von beidem ist nun Gegenstand der Betrachtung? Wird die Gestaltung des Gesundheitsmarktes betrachtet – das tut die OECD mit ihren Indikatoren – oder die einzelnen medizinischen Leistungen, die in ihrer Gesamtheit zur Gesundheit beitragen sollen? Beides kann man herauslesen. Die grundlegende Aufgabe des IQTiG ist die Bewertung der Qualität von Leistungen, die von den Leistungserbringern im stationären Bereich erbracht werden. Was aber, wenn Schwerpunkte gesetzt werden, je nachdem „ob der Blick eher auf das Gesundheitssystem als Ganzes gerichtet wird oder auf die Versorgungsqualität einzelner Leistungserbringer“. Das sind keine „Schwerpunkte“, die anders gesetzt werden können, sondern kategoriale Unterschiede, deren Verwirrung zu folgenschweren Widersprüchen führen wird.
Man denkt an den § 1 der Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, wo es heißt „Ärztinnen und Ärzte dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung“. In der Reichsärzteordnung (1935) hieß das noch „Dienst an der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes“.
Der Dienst an der Gesundheit führt zur unglücklichen Bildung des Wortes „Gesundheitsversorgung“. Eine Versorgung mit Gesundheit ist natürlich gar nicht möglich, weil Gesundheit kein Produkt und keine Dienstleistung ist, mit der man Menschen versorgen könnte wie mit Lebensmitteln, Strom oder Wasser. Früher sprach man von „Krankenversorgung“, was insoweit noch Sinn machte, als man an Leistungen dachte, mit denen Kranke versorgt oder umsorgt werden, damit sie keinen Mangel leiden.
Wenn man die Bereitstellung von Leistungen zur Feststellung, Behandlung, Vorbeugung von Krankheiten, zur Wiederherstellung nach einer Krankheit und der Pflege zusammenfassend als Gesundheitsversorgung bezeichnen möchte, muss man sich vergegenwärtigen, dass dann immer die Leistungen selbst Gegenstand der Qualitätsbetrachtung sind und nicht etwa ein Abstraktum wie „die“ Gesundheitsversorgung „der“ Bevölkerung.
Zur klaren Unterscheidung sollte man das politische, wirtschaftliche und soziale System, in dem die Leistungen bereitgestellt werden, als „Gesundheitssystem“ bezeichnen. Auch dann muss man sich klar sein, dass wir die Bezeichnung „Gesundheitssystem“ einmal für eine geschlossene, konkrete Organisation verwenden wie z. B. das Englische National Health System oder ähnlich in Irland, Dänemark, Schweden. Zum Anderen bezeichnen wir damit das Zusammenwirken etlicher Organisationen wie Krankenkassen, Leistungserbringer, Fachgesellschaften und Gesundheitsverwaltungen, das ganz und gar nicht systematisch, sondern eher chaotisch wirkt wie z. B. in Deutschland oder den USA. Man spricht – um dem besser gerecht zu werden – seit einiger Zeit auch von „Gesundheitswirtschaft“ oder „Gesundheitsmarkt“. Wegen der Konnotationen bevorzuge ich „System der Gesundheitsversorgung“.
Daneben gibt es einen öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), dessen Aufgaben durch Gesetz geregelt sind. Er ist in unteren Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämtern) organisiert und damit den Marktkräften weitgehend entzogen. Der ÖGD kümmert sich weniger um die Gesundheit des einzelnen Menschen, sondern hat eher die Förderung und den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung insgesamt im Blick. Auch die Qualität des ÖGD kann man betrachten – das ist aber nicht Auftrag des IQTiG.
Man kann also formulieren: In jedem Staat kann man einen mehr oder minder systematisch organisierten und abgrenzbaren Wirtschaftsbereich identifizieren, der Leistungen zur Feststellung, Behandlung, Vorbeugung von Krankheiten, zur Wiederherstellung nach einer Krankheit und der Pflege erstellt. Produktion, Distribution und Konsumtion der Leistungen hängen von der jeweiligen politischen Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen ab, die von einer staatlichen Monopolregie über Mischformen regulierter Beziehungen von Leistungserbringern, -empfängern und Kostenträgern bis hin zu einer Entfesselung des Marktes reichen können. Ohne Zweifel haben diese Gestaltungen Auswirkungen auf die Produktionskosten, die Preise, die lokale Verfügbarkeit und – natürlich – auf die Qualität der Leistungen.
Die Qualität der Leistungen wird jedoch unabhängig davon beurteilt, ob die politischen Rahmenbedingungen nun günstig sind oder nicht – sonst könnte man die Auswirkung geänderter Rahmenbedingungen auf die Qualität der Leistungserbringung ja gar nicht bewerten! Das gilt natürlich auch für die Preise und lokale Verfügbarkeit.
Die Definition des IQTiG beschränkt die Anforderungen an das Objekt der Betrachtung auf solche, „die patientenzentriert sind und mit professionellem Wissen übereinstimmen“.
DIN EN ISO 9001:2015 definiert „3.6.4 Anforderung [als] „Erfordernis oder Erwartung, das oder die festgelegt, üblicherweise vorausgesetzt oder verpflichtend ist“.
Da es bei Gesundheitsversorgung immer um Patienten geht, sind alle Anforderungen irgendwie patientenzentriert. Das Merkmal dient dann nicht mehr der Unterscheidung. Es ist nicht mehr als ein überflüssiges Adjektiv und so nichtssagend wie „Der Patient steht immer im Mittelpunkt“! Soll die Qualität der medizinischen Behandlungen betrachtet werden, steht der Behandlungsprozess „im Zentrum“, wenn man so will. Anforderungen müssen aus der Sicht der Patienten gestellt werden – etwas Anderes macht keinen Sinn. Ist das mit Patientenzentrierung gemeint? Was ist aber mit Anforderungen, die gar nicht patientenzentriert sind?
Wenn man Anforderungen aus normativen Dokumenten als verpflichtend oder allgemein vorausgesetzt bezeichnet, könnten sie aufgezählt werden. Längst nicht alle sind patientenzentriert. Möglicherweise können Organisationen, interessierte Parteien und Kunden (Patienten) gleichgerichtete, sich widersprechende oder sogar sich ausschließende Anforderungen stellen. Diese Problematik wird hier unterschlagen.
Noch problematischer ist die Einschränkung auf die Übereinstimmung mit professionellem Wissen. Welche Anforderungen gemeint sind, bleibt unklar. Dafür sind Umfang und Inhalt des „professionellen Wissens“ viel zu vage. Was ist und wo beginnt und wo endet Professionalität? Welcher Profession? Oder ist eine Fachdisziplin gemeint? Oder Fachkreise? Setzt sie eine staatliche Approbation oder andere Anerkennung voraus? In welcher Berufsgruppe herrscht ein allgemeiner Konsens über die Anerkennung des Wissens? Und wer hat das Wissen zu Anforderungen so explizit ausgedrückt, dass die Konformität festgestellt werden kann?
Werden damit alle Anforderungen ausgeschlossen, die nicht auf professionellem Wissen beruhen? Müssen Anforderungen überhaupt mit Wissen übereinstimmen?
Nehmen wir einmal den Fall eines Menschen, der an einem seltenen und bisher tödlich verlaufenden Krebs erkrankt ist. An die klinische Behandlung wird die Anforderung gestellt, sie solle wirksam und sicher sein. Nach professionellem Wissen gibt es keine Therapie, die diese Anforderung erfüllt. Oder es gibt (noch) keine evidence für ihre Wirksamkeit – was nicht dasselbe ist. Soweit richtig. Die Anforderung bleibt deswegen aber doch bestehen und niemand wird ihr widersprechen. Die Anforderung wird aus der Sicht des Patienten unabhängig von ihrer Erfüllbarkeit erhoben. Weil das so ist, suchen die Fachdisziplinen nach wirksamen Mitteln, erproben sie, erweitern ihr Wissen und verbessern so die Behandlung – um die Anforderung erfüllen zu können.
Das professionelle Wissen bezieht sich immer auf die Merkmale einer Leistung – Anforderungen müssen nicht mit professionellem Wissen begründet werden. Wenn „patientenzentriert“ irgendeinen Sinn machen soll, dann muss man sich von dem Gedanken verabschieden, eine wohlwollende Korporation begrenze die Anforderungen an die Qualität medizinischer Leistungen auf das, was mit ihrem Wissen übereinstimmt – einem Wissen, das ihr kraft ihres beruflichen Daseins zugewachsen ist.
Die Qualität der Gesundheitsversorgung wäre dann der Grad, zu dem die Versorgung so ist, wie sie nach den Vorstellungen einiger Leute sein sollte, ohne anzugeben, wer die Leute sind und welche Anforderungen sie stellen.
Folgerichtig wird in dem Methodenpapier weiter unten auch mehr von Vorgaben als von Anforderungen gesprochen. Institutionen machen Vorgaben, Patienten stellen Anforderungen. Für eine „Patientenzentrierung“ macht das den Unterschied.
Die Konfusion wird im Weiteren durch die unklare Verwendung des Begriffes „Dimension“ verstärkt.
Die Bezeichnung „Dimension“ lässt sich bis zu DONABEDIAN[iii] (und über ihn hinaus) zurückverfolgen. Sie wird seitdem vielfach wiederholt. Daneben wurden „Komponenten der Qualität“, „grundlegende Qualitätsaspekte“, „Kernziele des Gesundheitssystems“ oder „Domänen“ vorgeschlagen. Sicherlich hat DONABEDIAN[iv] seine Trias Struktur, Prozess, Ergebnis nicht als „Messdimensionen“ verstanden. Er war vielmehr auf der Suche nach Merkmalen, an denen sich „gute“ Gesundheitsversorgungssysteme erkennen ließen.
„Dimension“ ist hier eine unglückliche Bezeichnung. Üblicherweise steht sie für Ausmessung, Ausdehnung oder Abmessung z. B. eines Körpers nach Länge, Breite, Höhe oder für Ausmaß im Hinblick auf eine räumliche, zeitliche und begriffliche Erfassbarkeit[v]. Jede Dimension hat einen eigenen von den anderen unabhängigen Basisvektor. In der Physik gibt die Dimension an, in welcher Potenz die drei Grundeinheiten (g, cm, sec) in eine bestimmte Größe eingehen[vi] Alles das ist hier ja gar nicht gemeint.
Bei der Vermessung von soziokulturellen Systemen der Gesundheitsversorgung kann man vielleicht im metaphorischen Sinn von „Dimensionen“ sprechen wie DONABEDIAN es getan hat. Will man jedoch die Systeme vergleichen, dann muss man Merkmale benennen, an denen sich die Unterschiede festmachen lassen.
Hier leidet das Konzept des IQTiG an seiner unklaren Sprache: Es heißt dort:
„Solche grundsätzlichen Anforderungen an die Gesundheitsversorgung werden häufig in Form von grundlegenden Qualitätsdimensionen in einem Rahmenkonzept (conceptual framework) für Qualität zusammengefasst“.
Können „grundsätzliche Anforderungen“ … „in Form von grundlegenden Qualitätsdimensionen“ zusammengefasst werden? Was soll es heißen, dass die Patientenzentrierung als übergreifendes Leitbild aller Dimensionen zu verstehen sei? Ein Leitbild für Dimensionen? Wo liegt dann der Unterschied zwischen Anforderung und Dimension? Zugestanden wird zumindest, dass sich Anforderungen oder Dimensionen darin unterscheiden, „ob der Blick eher auf das Gesundheitssystem als Ganzes gerichtet wird oder auf die Versorgungsqualität einzelner Leistungserbringer“. Die dort aufgeführten Beispiele passen aber gar nicht zu beiden Blickrichtungen:
Ein Versorgungssystem kann Wirksamkeit, Sicherheit und „Ausrichtung an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten“ von Behandlungsleistungen fördern oder behindern, aber sie sind selbst keine Eigenschaften des Systems, an denen man den Unterschied ablesen könnte.
Die genannten „Dimensionen“ sind bei genauerer Betrachtung alles Merkmale von Leistungen, die in der medizinischen Behandlung erbracht werden: Wirksamkeit, Patientensicherheit, Ausrichtung der Versorgungsgestaltung an den Patientinnen und Patienten, Rechtzeitigkeit und Verfügbarkeit, Angemessenheit, Koordination und Kontinuität. „Patientensicherheit“ ist als Merkmal etwas missverständlich. Mit dem Wort ist ja eigentlich der Schutz vor den Gefahren der Medizin meint. Gemeint ist die Sicherheit oder besser: Unsicherheit medizinischer Leistungen. Aber so haben wir das immer auch verstanden.
Diese Merkmale (und etliche andere) lassen sich messen oder prüfen. Genau das soll und möchte das IQTiG tun. Ganz richtig handelt das Methodenpapier des IQTiG im Abschnitt 5.1 dann auch von Merkmalen, im Abschnitt 5.2.3 taucht dann sogar die fachlich korrekte Definition des Qualitätsmerkmals auf! Umso unverständlicher ist mir, warum die Merkmale aus der Definition der Qualität verschwunden sind.
Im weiteren Text des Methodenpapiers wird die Bezeichnung „Qualitätsmerkmal“ zunehmend häufiger benutzt. Die Verwendung weicht aber vom fachlich üblichen Gebrauch deutlich ab. Warum das so ist, wird aber nicht erläutert.
Nach der so aufwändigen Klärung der Begriffe gehen wieder Merkmale, Qualitätsmerkmale, Qualitätsaspekte, Qualitätsmodelle, Qualitätsindikatoren, Qualitätsdimensionen, Qualitätsziele und Anforderungen durcheinander. Wie soll man einen Satz verstehen wie diesen: „Erst mit den Qualitätsmerkmalen werden konkrete Anforderungen an die medizinische Versorgung für einen spezifischen Aspekt gestellt, anhand deren Erfüllung die Versorgungsqualität bewertet werden kann. Diese Anforderungen werden als Qualitätsziele bezeichnet.“
Man kann quantitative Merkmale messen. Qualitative Merkmale kann man prüfen. Qualität als Grad der Erfüllung kann man abschätzen – messen kann man sie nicht, Aspekte und Dimensionen auch nicht. Ziele schon gar nicht – die werden gesetzt. Anforderungen werden erhoben. Selbst Merkmale lassen sich manchmal nur indirekt über Indikatoren messen. Ohne dieses Eingeständnis kann man sinnvoll nicht über Prüf- und Messmethoden sprechen.
Mess- und Prüfmethoden für Design- oder Performanz-Merkmale unterscheiden sich erheblich, besonders dann, wenn sie qualitative oder quantitative Merkmale betreffen. Bei Performanz-Merkmalen wird meistens ein Prüfmerkmal (Indikator) über die Zeit betrachtet. Merkmale der Annehmbarkeit sind nicht immer inhärent und unterliegen einem sozialen und kulturellen Einfluss. Die Angemessenheit einer Behandlung lässt sich nur im Einzelfall bewerten.
Wer das alles für überflüssige Haarspalterei halten will, wird sich noch umschauen, wenn in Zukunft ein außerordentlich guter oder unzureichender Grad der Erfüllung von Anforderungen so genau ermittelt werden soll, dass damit Zu- oder Abschläge begründet werden können. Da geht es um mehr oder weniger Geld. Einen solchen Unterschied muss man irgendwie „merkbar“ machen, sonst wird das Ergebnis angefochten.
[i] DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Norm DIN EN ISO 9000:2015, 0.11.2015: Qualitätsmanagementsysteme – Grundlagen und Begriffe. Beuth Berlin 2015
[ii] Lohr, Kathleen (Hg.) (1990): A Strategy for Quality Assurance. A report of a study by a committee to desigan a strategy for quality review and Assurance in Medicare. Institute of Medicine, Division of Health Care Services. 2 Bände. Washington D.C., USA: National Academy Press
[iii] Donabedian, Avedis (1980): Explorations in quality assessment and monitoring. Ill. Ann Arbor, Mich.: Health Administration Pr.
[iv] Donabedian, Avedis (1966): Evaluating the Quality of Medical Care. In: Milbank Q Milbank Memorial Fund Quarterly Health and Society 44, S. 166–203.
[v] Duden Das große Fremdwörterbuch 4. Auflage Mannheim und Leipzig 2007
[vi] Regenbogen A; Meyer U. Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner Hamburg 2013).
Versionskontrolle:
Version 1.0 2019-06-19
Version 1.1 2019-10-13
Version 1.2 2020-01-27
Version 1.3.2021-02-05 mit Literaturverzeichnis
© Dr. U. Paschen 2021
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Verantwortlich: Dr. med. Ulrich Paschen
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